„Made in Germany“ steht seit Jahrzehnten für Präzision, Verlässlichkeit und technische Exzellenz. Doch die Bedingungen, unter denen diese Marke entstanden ist, verändern sich rasant: Globale Wettbewerber holen auf, Lieferketten sind fragiler geworden, Energie- und Rohstoffkosten steigen, und die Klimaziele erfordern tiefgreifende Umstellungen. Die Herausforderung ist klar: Die deutsche Industrie darf sich nicht auf ihrem Ruf ausruhen. Sie muss sich neu erfinden — nicht nur technologisch, sondern auch organisatorisch und ökologisch.
Zunächst zur Diagnose: Woran liegt der Druck? Globalisierung und Protektionismus wirken gleichzeitig. Während Produktion und Know-how in Asien massiv ausgebaut werden, führen geopolitische Spannungen und Handelsschranken zu Unsicherheiten. Lieferketten, die lange auf Kostenminimierung optimiert wurden, erweisen sich als anfällig — exemplarisch sichtbar in der Pandemie und bei Engpässen in Halbleitern. Gleichzeitig steigen Energiepreise und CO₂-Kosten, was besonders energieintensive Branchen belastet. Ein weiterer Engpass ist der Arbeitsmarkt: Es fehlt an Fachkräften in Bereichen wie Softwareentwicklung, Elektrotechnik und digitaler Fertigung. Schließlich fordern Kunden, Investoren und Regulierer transparente, nachhaltige Lieferketten und klimaneutrale Produkte — ein Paradigmenwechsel gegenüber dem bisherigen Fokus auf reine Funktionalität und Lebensdauer.
Wie kann die Industrie darauf antworten? Fünf strategische Handlungsfelder zeichnen sich ab.
- Produkt- und Prozessinnovation statt Kostenwettbewerb
Preiswettbewerb gegen Billigproduzenten ist ein aussichtsloses Rennen. Deutsches Know-how sollte sich auf Qualitäts-, System- und Plattforminnovationen konzentrieren: mechatronische Komplettlösungen, intelligente Maschinen, Service-Ökosysteme und datenbasierte Geschäftsmodelle (Predictive Maintenance, Pay-per-Use). Unternehmen, die Produkte mit eingebetteter Software und Diensten verkaufen, verlagern Wertschöpfung weg von reiner Fertigung hin zu wiederkehrenden Erlösen — das steigert Resilienz und Margen. - Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil
Klimaneutralität ist kein Kostenfaktor allein, sondern zunehmend ein Markenkriterium. Wer frühzeitig CO₂-arme Produktionsprozesse, recycelbare Materialien und transparente Lieferketten liefert, gewinnt Marktanteile, Zugang zu ESG-orientiertem Kapital und Rechtssicherheit. Energieeffizienz, Nutzung erneuerbarer Energien und Kreislaufwirtschaft müssen integraler Teil der Produktentwicklung werden — vom Design bis zum Recycling. - Digitale Transformation industriell gedacht
Digitalisierung ist kein IT-Projekt, sondern eine neue Betriebsphilosophie. Vernetzte Fabriken (Industrial IoT), digitale Zwillinge und KI-gestützte Produktionsplanung erhöhen Flexibilität und Auslastung. Besonders wichtig ist die Standardisierung von Datenformaten und offene Plattformen, damit Zulieferer und Hersteller nahtlos zusammenarbeiten können. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) brauchen dabei skalierbare, leicht implementierbare Lösungen und Zugang zu Beratungsnetzwerken, sonst droht eine digitale Spaltung. - Regionale Resilienz und diversifizierte Lieferketten
Strategische Diversifikation: Nicht alles muss zurück nach Deutschland, aber kritische Komponenten sollten regional verfügbar sein. Europäische Produktionsnetzwerke, Nearshoring und stärkere Zusammenarbeit zwischen Unternehmen können Abhängigkeiten reduzieren. Gleichzeitig sind Investitionen in Lagerhaltung, duale Zulieferketten und flexiblere Fertigungskapazitäten nötig, damit Störungen abgefedert werden können. - Fachkräfte, Weiterbildung und neue Arbeitsmodelle
Die Industrie braucht Talente — nicht nur klassische Ingenieurinnen und Ingenieure, sondern auch Software- und Data-Specialists. Das erfordert eine Neujustierung von Ausbildungssystemen: stärkere Verzahnung von Berufsschule, Hochschule und Praxis, lebenslanges Lernen sowie Trainee-Programme. Unternehmen müssen zudem attraktivere Arbeitsbedingungen bieten: agile Arbeitsmodelle, projektorientierte Teams, Weiterbildungskontingente und eine offene Innovationskultur, die Mitarbeitende einbindet.
Diese fünf Felder verlangen zusammenspielende Maßnahmen: Unternehmen müssen investieren, Gewerkschaften und Betriebsräte müssen Übergänge mitgestalten, und die Politik muss Rahmenbedingungen schaffen — etwa durch Förderprogramme für CO₂-arme Produktion, steuerliche Anreize für Forschung und Investitionen in digitale Infrastruktur. Wichtige Instrumente sind außerdem gezielte Forschungsförderung für Schlüsseltechnologien (Batterien, Wasserstoff, Leistungselektronik), Standardisierungsvorhaben auf europäischer Ebene und pragmatische Bürokratieentlastung für KMU.
Ein besonderer Hebel liegt in den Netzwerken: Clusterbildung, in denen Forschungseinrichtungen, Start-ups und etablierte Unternehmen eng zusammenarbeiten, beschleunigt Innovationen. Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass Regionen mit hoher Vernetzung (z. B. Automobil- oder Maschinenbauzentren) resilienter und innovationsstärker sind. Ebenso sollten industrielle Datenökosysteme entstehen, in denen Unternehmen gemeinsam Daten nutzen können — unter fairen Regeln und mit klarer Datensouveränität.
Abschließend: „Made in Germany“ ist nicht am Ende, aber es ist nicht mehr ausreichend, sich allein auf Tradition und Technik zu verlassen. Der Markenwert muss durch aktives Handeln erneuert werden: klimaneutrale Produkte, digitale Geschäftsmodelle, resilientere Lieferketten und eine moderne Arbeitswelt. Wer diesen Wandel als Chance begreift — nicht als Zwang — kann aus dem Druck neue Stärke ziehen. Die Herausforderung ist groß, aber die Basis ist da: ein dichtes Netz aus Ingenieurskunst, Mittelstandsdynamik und exzellenter Forschung. Jetzt kommt es darauf an, diese Stärken mit Mut zur Veränderung zu verbinden — sonst droht Made in Germany eines Tages nur noch im Museum zu glänzen.

